0,027 Prozent von Österreich – 100 Jahre Kampf um die Lobau

Angesichts des enormen Besucherdrucks, dem die Lobau seit einigen Jahren ausgesetzt ist, wird es Zeit, dieses Wiener Juwel aufs Neue ins rechte Licht zu rücken:

Die Lobau ist eine nur durch Glück und Zufall bis heute existierende Naturlandschaft.

Seit hundert Jahren wird um sie gekämpft. Immer wieder einmal schien es, als würden sie den Interessen Einzelner oder wirtschaftlichen Plänen zum Opfer fallen. Immer wieder (aber nicht in allen Fällen) gelang es Naturschützern, dies zu verhindern.

Die rasant zunehmende Wiener Bevölkerung, die Rücksichtslosigkeit vieler Besucher, Straßenbauvorhaben sowie mangelndes Management der Stadt Wien zur Erhaltung der Gewässer und Feuchtgebiete, haben die Lobau erneut in eine kritische Situation manövriert.

Hier eine Liste der wichtigsten Fakten, die jeder Diskussion über die Zukunft der Lobau zugrunde liegen sollten:

Der Nationalpark Donau-Auen ist die größte zusammenhängende, ökologisch weitgehend intakte und naturnahe Flussauenlandschaft Mitteleuropas.

Die Gesamtfläche des Nationalparks beträgt 9600 Hektar. Das sind 0,11 Prozent des österreichischen Staatsgebietes (entspricht etwa 1 Drittel des Neusiedlersees).

Die Gesamtfläche der Lobau – des Wiener Anteils am Nationalpark – beträgt 2300 Hektar. Das sind 0,027 % des österreichischen Staatgebietes und 5,5 % der Fläche Wiens (entspricht etwa dem Bezirk Simmering).

Die Lobau nimmt ein Viertel der Gesamtfläche des Nationalparks ein.

Zwischen 1938 und 2010 hat die Lobau 1 Drittel ihrer Wasserflächen und Feuchtgebiete verloren.

Die Gewässer der Lobau verlanden mit einer Geschwindigkeit von bis zu 3,5 % pro Jahr – mit fortschreitender Beschleunigung.

Die Lobau wurde bereits 1905, 1928 und 1937 durch Gemeinderatsbeschlüsse für unverzichtbar und unantastbar erklärt.

Seit 1977 ist die Untere Lobau UNESCO-Biosphärenreservat.

1978 wurde die Lobau zum Naturschutzgebiet erklärt.

Seit 1983 ist die Untere Lobau als „Lebensraum für Wasser- und Watvögel von internationaler Bedeutung“ ein Schutzgebiet im Rahmen des Ramsar-Übereinkommens.

Seit 1996 ist die Lobau Teil des Nationalparks Donau-Auen – manifestiert im „Wiener Nationalparkgesetz“.

2007 wurde die Lobau mittels Verordnung der Wiener Landesregierung zum Europaschutzgebiet erklärt.

Dass in der Lobau heute weder eine große Erdölraffinerie liegt, noch eine Gewerbezone, ein Industriegebiet oder ein Universitäts-Campus, dass sie weder von einer Schnellstraße noch von einer Autobahn durchschnitten wird und dass das Tanklager nicht weiter vergrößert wurde, ist mehreren Generationen von Naturschützern zu verdanken, die sich der betonierenden Obrigkeit mutig entgegengestellt hatten. Die wichtigsten Anschläge:

1929 planen der Bund, Niederösterreich und Wien bei Schönau ein Kraftwerk. Der Stausee soll bis Korneuburg reichen. Die Lobau würde zur Gänze überflutet werden. Eine Arbeitsgemeinschaft der Jagdvereine protestiert dagegen – und hat damit Erfolg; wohl auch, weil dem Staat in jenen Jahren die Mittel ausgehen.

1940 lässt Hitlers Deutsches Reich mitten durch das Herz der Lobau die ersten Elemente eines nie verwirklichten Donau-Oder-Kanals graben. Darüber hinaus wird in den Auwald rücksichtslos ein Ölhafen implantiert, eine kleine Raffinerie und ein Tanklager. Proteste sind damals undenkbar.

1945 wird die Lobau von zahllosen Fliegerbomben zerfurcht, die ihre Ziele – das Tanklager und den Ölhafen – verfehlen. Die Krater existieren bis heute.

1958 soll im Bereich des Beckens II des Donau-Oder-Kanals eine Großraffinerie errichtet werden. Wien unterstützt den Plan, in der Hoffnung auf hohe Steuereinnahmen. Im Zuge dessen soll die Obere Lobau eine Gewerbe- und Industriezone werden. Hans Kinnl vom Niederösterreichischen Naturschutzbund gelingt es fast im Alleingang, dies zu verhindern. Die OMV beschließt, die Großraffinerie in Schwechat zu errichten.

1963 bis 1967 errichtet Wien im Hafen Lobau die erste Tankerreinigungsanlage Europas.

1964 beginnt die Stadt Wien, in die Untere Lobau ein Wasserwerk zu pflanzen. Dazu gehören fünf Brunnen samt Rohrleitungen, Stromleitungen, Asphaltstraßen und Gebäuden sowie der Brunnen Markethäufel in der Oberen Lobau. 1969 wird zum Schutz der Brunnen das romantische Gänshaufenwasser zugeschüttet und die Künigltraverse aufbetoniert.

1970 widmet Wien mitten im ersten Europäischen Naturschutzjahr 17,5 Hektar Landschaftsschutzgebiet in Industrieland um und errichtet dort auf einer der schönsten Orchideenwiesen der Lobau ein kalorisches Kraftwerk.

Das Bundesstraßengesetz 1971 sieht in der Lobau den Bau einer Autobahn und einer Schnellstraße vor. Über der Panozza-Lacke soll ein Autobahnkreuz entstehen, die Obere Lobau soll in Richtung Groß-Enzersdorf von einer Schnellstraße durchquert werden. Einer Bürgerinitiative gelingt es 1972 mit Hilfe der Medien, diese Vorhaben zu verhindern.

Seit Anfang der 1990er-Jahre wird die Errichtung einer sechsten Donauquerung mittels Schnellstraße geplant, die durch die Lobau an deren breitester Stelle führen soll. Der ehemalige Wiener Bürgermeister Michael Häupl bringt als Umweltstadtrat 1992 den Gedanken einer Untertunnelung ins Spiel. Seitdem besagt die Planung, dass zwei parallele Tunnelröhren die Lobau durchqueren sollen. Das Projekt wird seit zwanzig Jahren von Bürgerinitiativen und Naturschutzvereinen vehement bekämpft.

„Man kann Umstände zur Kenntnis nehmen, darf aber nicht bereit sein, sie hinzunehmen.“
(Bruno Kreisky)

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